Daria Bona:  Ihr zeigt in der Ausstellung THAT IS NO PROOF im KOP.12 in Essen Arbeiten von euch beiden, die in einen Dialog miteinander treten. Die Arbeiten sind als Einzelbilder, teilweise auch als Serien angelegt, unterschiedliche Größen und Papiere treffen aufeinander. Wie kam eure Zusammenarbeit für diese Ausstellung zustande?

Katharina Ley:  Wir studieren beide an der Folkwang Universität der Künste. Dabei sind uns in einem gemeinsamen Projektkurs die Arbeiten der jeweils anderen aufgefallen. Inhaltlich beschäftigen wir uns ja schon mit sehr ähnlichen Fragestellungen an das Bild, wobei Überlegungen zum Entstehungsprozess und zu fotografischen Materialitäten im Vordergrund stehen und wir beide einen experimentellen Arbeitsansatz verfolgen. Da war dann schnell das Bedürfnis und die Idee da, unsere Arbeiten im gemeinsamen Austausch im Raum zu erproben. Auf der Suche nach passenden Räumlichkeiten sind wir dann schließlich auf Daniela und das kürzlich eröffnete KOP.12 gestoßen.

Daria Bona:  In euren Fotografien werden Aspekte aufgegriffen, die sich auch in der Arbeit der anderen wiederfinden – teilweise greifen die Bilder sozusagen ineinander. Spuren des Abreißens, Abschneidens oder Abreibens, Verletzungen des Bildträgers. Im Mittelpunkt der Bilder steht immer eine Form der Störung. Vielleicht könnt ihr kurz erläutern, wie diese jeweils entsteht? 

Katja Stolz:  Die Störungen entstehen durch unsere Eingriffe in das Material. Katharina bearbeitet beispielsweise das Baryt-, PE- oder Inkjetpapier im Nachhinein mit Schmirgelpapier und macht so verschiedene Schichten des Trägermaterials sichtbar oder experimentiert mit verschiedenen Drucktechniken. Bei meinen Arbeiten zerschneide ich händisch das Filmmaterial und scanne es danach wieder ein. Dadurch werden die Ränder und die durch das Schneiden verursachten Risse weiß und heben das Negativ vor dem schwarzen Hintergrund hervor, zeigen es als Motiv. Mit diesen Arten der Störung weisen wir so beide auf das fotografische Material hin, zeigen und hinterfragen dieses und nähern uns so auf unterschiedliche Herangehensweisen dem gleichen Thema an.

DB:  Der Bildträger wird, wie du sagst, zum Motiv. Ihr arbeitet dabei beide an der Grenze zwischen Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit, zeigt diese deutlich auf und lasst sie an anderer Stelle verschwimmen. Katharina, in den Abreibungen der Oberfläche der Fotografien reagierst du auf die darin gezeigten Gegenstände, greifst Formen wieder auf und erzeugst so neue Figuren und Bewegungen - bspw. in ohne Titel (Haus) oder ohne Titel (Museum).
Wählst du Objekte schon in Hinblick auf die nachträgliche Bearbeitung aus oder nutzt du bereits vorhandenes oder gefundenes Material, das dann bearbeitet wird? Wie gehst du vor?

KL:  Am Anfang habe ich aus meinem Archiv heraus gearbeitet, mit bereits existierenden Abzügen, die ich vielleicht schon vor 1-2 Jahren ohne konkretes Ziel/für keine bestimmte Arbeit gemacht hatte. Die Abreibungen entstanden dabei aus einem intuitiven Gestus heraus, der natürlich irgendwo auch von dem Motiv beeinflusst wird. Dabei habe ich bemerkt, wie unterschiedlich sich das Schmirgelpapier auf den jeweiligen Trägerpapieren verhält. Auf PE-Papier sind z.B. sehr feine, klare Spuren erkennbar, während auf Barytpapier der Oberflächenabtrag großflächiger ist. Das ist auch von weiteren Parametern abhängig. Zum Beispiel davon, welche Körnung verwendet oder mit welcher Intensität die Bildoberfläche bearbeitet wird. Mit der Zeit habe ich also mein Arbeitsmaterial und dessen Verhalten weiter kennengelernt. Das hat im weiteren Verlauf dann auch die Bildauswahl beim Durchforsten meiner Negativordner beeinflusst. Parallel dazu habe ich neue Fotografien angefertigt, bei deren Motivwahl eine spätere Bearbeitung schon mitgedacht wurde. Am konkretesten ist dies wohl bei der Selbstporträtserie erkennbar. Ob die Bilder aber tatsächlich auch funktionieren, zeigt sich immer erst während bzw. nach der Bearbeitung. Das intuitive Moment bleibt dabei entscheidend, da die Bewegungen und damit auch die Spuren auf dem Papier nicht en Detail planbar und auch nicht reproduzierbar sind.

DB:  Katja, du sagst, dass du vor allem mit dem Sichtbarmachen des collagiertes Negativmaterials arbeitest. In deiner Arbeit Landschaft Nr. 15 zieht sich der weiße Negativrand scharfkantig am Überrest einer schemenhaften Landschaftsaufnahme entlang, die wie eine Art Restvorstellung wirkt, die man von „Landschaft“ haben könnte. Am Ende stehen wir vor einer Fotografie, in dem sich die verschiedenen Ebenen Bildträger und Bild übereinander lagern.
Wo findest du das (Bild-)Material, das du verarbeitest und welche Rolle spielt es im weiteren Prozess der Bildentstehung?

KS:  Die einzelnen Bildstücke der Arbeiten stammen aus Landschaftsaufnahmen, die ich in verschiedenen Wäldern und Bergen des Allgäus aufgenommen habe. Während des Fotografierens achte ich bei der Bildfindung auf interessante Linien, die sich in der Landschaft vor mir zeigen, wie zum Beispiel der Rand einer Wiese, die an einen Wald grenzt, oder der Himmel, der durch die Bergkette unterbrochen wird. So teilt sich die Umgebung in einzelne Bruchstücke, an deren Kanten ich mich dann beim Schneideprozess orientiere. Dabei spielt auch eine Rolle, wie komplex die Kontur verläuft. Je mehr Ecken und Rundungen der Verlauf zeigt, desto sichtbarer wird letztlich der Eingriff ins analoge Kleinbild, weil das Schneiden auf der Linie erschwert wird und so mehr Störungen und Risse entstehen.

DB:  Die großformatige Arbeit von der wir sprechen verändert sich stark, je nachdem aus welcher Perspektive man sie betrachtet oder je näher man an sie herantritt. Aus der Ferne wirkte sie auf mich wie ein riesiges gefaltetes Papier. Das von oben kommende Licht lässt die schwarzen Flächen zu den Kanten hin reflektieren, es entstehen Höhen und Tiefen und das Bild erreicht eine enorme Plastizität. Tritt man näher heran fällt plötzlich auf: Hier sind etliche Papiere eng nebeneinander platziert an die Wand genagelt, ohne Lücken zu lassen. Viele kleine Fragmente ergeben das große Ganze, dessen Einzelteile sich im Vorbeigehen im Luftstrom mitbewegen. Obwohl das Bild dunkel ist, somit eine gewisse Schwere evozieren sollte, wirkt es aus der Nähe plötzlich ungemein leicht.
Betrachter:innen assoziieren ein Foto meist mit einem Bild, das viel Information enthält. Ein Bild, das größtenteils schwarz ist, wird in der Regel als „leer“ empfunden. Unser Blick wird hier somit auf verschiedenen Ebenen befragt. Du untersuchst nicht nur Material, sondern spielst gleichzeitig auch mit der Wahrnehmung fotografischer Bilder. Was interessiert dich daran?

KS:  Die großartige Idee die Arbeit auf diese Art und Weise zu hängen hatte Daniela und sie hat mir sofort sehr gut gefallen, da es das Prinzip der Arbeit aufgreift und erweitert, indem es das bereits aus seiner Form herausgeschnittene Motiv nochmals in seine Einzelteile mittels der Papiere auflöst. Die Unterteilung des Bildes folgt dabei in einem geometrischen Raster anstatt die Kontur des Inhaltes als Ausgangspunkt zu nehmen. Ich finde es spannend, wie es den Versuch, das Bild aus dem Zweidimensionalen zu lösen wieder aufgreift und es im Raum erfahrbar macht. Die beweglichen Blätter laden zu einer Betrachtung aus der Nähe ein und lassen dadurch das ursprüngliche Motiv der Landschaft in den Hintergrund treten. Dann stehen mehr das Korn und Störungen im Vordergrund. Durch die Hervorhebung des Materials ist also die Betrachtung eines „typischen“ Bildes nicht mehr möglich und dadurch verändert sich auch der Blick und muss neu überdacht werden. Bei Landschaft Nr. 15 tritt dies besonders hervor, da die große Schwarzfläche von jedem/jeder Betrachter:in anders gesehen und gelesen werden kann. Aber auch die anderen Arbeiten der Ausstellung spielen mit diesem Prozess des Sehens und zeitgleichem Befüllen der scheinbaren Leerstellen. Mir gefällt der Aspekt der Leichtigkeit, den du beschreibst. Das Bild besteht zwar aus einer großen Schwarzfläche, doch wenn man bedenkt, dass diese durch den Lichteinfall beim Scannen entsteht, wenn an dieser Stelle kein Film auf der Auflagefläche liegt, stellt diese im Grunde das Licht dar, was wiederum mit Helligkeit und Leichtigkeit assoziiert und mittels der Papiere wieder aufgegriffen wird.

DB:  Eine weitere Arbeit, die direkt ins Auge fällt zeigt einen markanten, rot leuchtenden „Fleck“ auf tiefem Schwarz, der schon von weitem im Fenster des KOP.12 zu sehen ist und aus dem schwarz-weißen Gesamtbild der Ausstellung deutlich hervortritt. Auch hier zeigt sich der Print in der Nähe plötzlich viel detaillierter, Farbverläufe werden erkennbar, feine Linien treten hervor, die von einem Druck- oder Scanvorgang zeugen.
Katharina, deine Arbeit trägt den Titel Retusche (480/110). Inwiefern bewegst du dich hier zwischen analogen und digitalen Techniken und welche Bedeutung misst du diesen bzw. ihrer Sichtbarmachung zu?

KL:  Wie du schon angemerkt hast, ist diese Arbeit nicht in einem rein analogen oder digitalen Prozess entstanden, sondern in Kombination. Zunächst habe ich Retuschefarbe, die in der analogen Fotografie normalerweise zur Nachbesserung von Abzügen verwendet wird, auf Negativfilm aufgetragen. Dieser wurde anschließend entwickelt und gescannt, wobei sich Spuren des Scanvorgangs in das Bild eingeschrieben haben. Mich interessiert, welche Bildästhetiken im Prozess und der Kombination unterschiedlicher Materialien und Techniken aus dem Werkzeugkasten der Fotografie zum Vorschein kommen. So kann es, wie bei Retusche (480/110), zu einer Kombination aus analogen und digitalen Techniken kommen, wobei deren Sichtbarmachung in diesem Fall das Bild für mich erst zum Bild werden lassen. Bei genauer Betrachtung sind im Bild selbst Rückschlüsse auf den Entstehungsprozess vorhanden, ohne sich jedoch zu sehr aufzudrängen. Das heißt aber nicht, dass in allen Bildern, die unter Verwendung von Retuschefarbe entstehen, immer deutliche Scanspuren erkennbar sein müssen. Am Ende bestimmt das jeweilige Motiv immer mit, wie ich mit ihm umgehe, welche Verarbeitungsprozesse es durchläuft und wie und in welcher Deutlichkeit sie sich den Betrachtenden offenbaren. Mir gefällt es, wenn man über deren Entstehungsprozess der Arbeiten nachdenkt, such auf Spurensuche begibt, Material, Techniken oder die Fotografie selbst befragt. Genauso wichtig ist mir aber auch die Assoziationsfülle, die Bilder wie dieses mit sich bringen.

DB:  Auch in Katjas Arbeiten ist der Verweis auf analoge Bildbearbeitungstechniken durch die sichtbaren, weißen Negativränder ja offensichtlich. Besonders in deiner Arbeit Himmel 2 tritt die Negativmontage sehr deutlich hervor. Die Arbeit assoziiert eine Meereslandschaft, ein Seestück, in dem Himmel und Meer am Horizont aufeinandertreffen. Dieser zeigt sich dabei als Bruch, Schnittkante, die Stelle, an der du wohl zwei Negative zusammengesetzt hast.
Ich denke direkt an die Bilder Gustave Le Grays, der bereits in den 1860er Jahren zwei Negative „am Horizont“ zusammen montierte und damit ein Positiv belichtete, aus dem pragmatischen Grund, da die Aufnahme der Wellen eine sehr kurze, die des Himmels eine lange Belichtungszeit forderte. So konnte er die kontrastreichen Wolkenformationen fotografisch festhalten. Bei dir stoßen nicht Himmel und Meer, sondern Himmel und Himmel aneinander, welcher sich wiederum im Schaufenster des KOP.12 spiegelt.
Die (unsichtbare) Bearbeitung begleitet das Medium bereits seit seiner Erfindung. Fotografie ist nie proof, authentischer Beweis, sondern immer eine subjektive Auswahl eines Ausschnitts der Wirklichkeit, dessen, was ins Bild gerückt wird, sie wird nachträglich bearbeitet oder retuschiert.  Was regt euch zur Auseinandersetzung mit diesem wiederkehrenden, dem Medium der Fotografie inhärenten Thema an?

KS:  Die offensichtliche Manipulation einer Fotografie und die daraus resultierende veränderte und getäuschte Blick ist es, was ich interessant finde. Es bindet den/die Betrachter:in und das Erschaffen einer neuen Realität mit ein. Viele Arbeiten in der Ausstellung weisen Leerstellen und Bildbereiche auf und geben der betrachtenden Person die Möglichkeit, diese mit eigenen Ideen zu füllen und somit das ganze Bild auf eine ganz individuelle Weise neu zu erfahren. Im Fall der Arbeit Himmel 2 habe ich diesen Schritt vorweggenommen und bereits zwei verschiedene Abbildungen zu einem neuen Kontext zusammengefügt, setzte also zwei Wirklichkeiten zu einer neuen Wirklichkeit zusammen. Ohne große Mühe lässt sich die Täuschung erkennen. Der/die Betrachter:in kann dann selbst entscheiden, was er/sie sehen möchte und dies wiederum in den direkten Vergleich zu seiner/ihrer unmittelbaren Umgebung und Realität setzen.

KL:  Im Gegensatz zu den Arbeiten von Gustave Le Gray, die natürlich in einem völlig anderen Kontext entstanden sind, geht es in unseren Arbeiten nicht um die Bearbeitungen, die in einer perfekten Illusion aufgehen. Ich kann mich voll und ganz auf die Bilder einlassen, werde aber auch immer wieder an der Oberfläche aufgehalten, sei es durch Abrasionen, dreidimensional erscheinende Schnittkanten oder, zusätzlich wie bei Landschaft Nr. 15, durch Reflexionen. Wenn wir im Prozess unsere Bilder bearbeiten und Präsentationsformen suchen, durchbrechen wir die Sichtbarkeit des Abgebildeten, ohne uns jedoch gänzlich von diesem zu lösen. Zugleich erhoffen wir aber auch neue Formen der Sichtbarkeit, wenn wir Material und Prozess offenlegen. Was wird sichtbar, was bleibt verborgen, was imaginiert? Das ist gar nicht mehr so konkret zu beantworten. Und genau darin liegt eine Spannung, die mich festhält und nicht einfach durch das Bild hindurchschauen lässt, sondern zu aktiven Auseinandersetzung auffordert und dazu anregen kann, die Betrachtung von und den Umgang mit Bildern sowie deren Entstehungsprozess zu hinterfragen.

DB:  Am „offensichtlichsten“ werden Fragen nach Sicht- und Abbildbarkeit wohl in deiner bereits erwähnten Serie Selbstporträt mit Schleifpapier verhandelt, aus der du zwei Prints für diese Ausstellung ausgewählt hast, Katharina. Diese Arbeit wirkt schon fast wie ein „making of“ oder „behind the scenes“. Zu sehen bist du, Schmirgelpapier in der Hand. Es scheint, als ob du die abgeriebene, weiße Fläche im Zentrum der Fotografie aus dem Bild heraus erzeugst und dich mit dieser Handlung gleichzeitig selbst aus diesem entfernst.

KL:  Der Gedanke des „making of“ gefällt mir ganz gut, auch wenn ich ja nie im tatsächlichen Schleifprozess selbst zu sehen bin. Es scheint vielleicht im Ansatz so als würde ich die Abreibung aus dem Bild heraus erzeugen, dennoch ist klar, dass diese von außen hinzugefügt wird. Und genau hier ist für mich wieder die Uneindeutigkeit in der Frage der Sicht- und Abbildbarkeit das Interessante. In der fotografischen Abbildung bin ich zwar immer weniger zu sehen und womöglich irgendwann ganz verschwunden. Je weniger ich jedoch in dieser erkennbar bin, desto präsenter werde ich in den Abreibungsspuren, die ich bei der Bildbearbeitung von außen hinterlasse.

DB:  Proof bedeutet nicht nur „Beweis“, sondern auch „Probedruck“ oder „Andruck“. In der Ausstellung experimentiert ihr auf verschiedenen Ebenen, mit Formaten, Materialien, Techniken, Nachbarschaften und Positionierungen im Raum, „erprobt“ eure Arbeiten. So manches ist in dieser Form erst im direkten Austausch und als Reaktion in der Vorbereitung dieser Ausstellung entstanden – es ist wirklich spannend euch dabei zuzusehen, wie ihr Grenzen des fotografischen Materials und auch das Verständnis von Fotografie austestet. Danke, insbesondere auch an Daniela, für die Einladung und danke euch beiden für den Austausch und das anregende Gespräch!

KS:  Ja, es hat wirklich sehr viel Freude bereitet im Rahmen dieser Ausstellung gemeinsam mit Katharina und Daniela zu experimentieren und immer wieder überrascht zu werden, wie die Arbeiten miteinander wirken und aufeinander eingehen. Vielen Dank auch an Daniela, dass sie uns dies ermöglicht und uns diesen Raum und Inspiration bietet. Danke für das interessante Gespräch!

Daniela Risch: Ich habe euch zu danken für euer Vertrauen, euer Engagement und diese inspirierende Zusammenarbeit! Herzlichen Dank noch einmal Daria, für deine Offenheit, die du unserem Projekt entgegenbringst und die fesselnden Reflexionen und Einblicke, die du uns mit deinem Gespräch ermöglichst!

05/2021




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