SHIFTING STAGES
Aaron Scheer & Berit Schneidereit
24. September - 12. November 2023
Eröffnung: Sa., 23. September um 18:00 Uhr
Öffnungszeiten: Fr. + Sa. 15:00 - 18:00 Uhr
und zur Kunstspur am
Sa/ So, den 23./ 24.09. um 15-18:00 Uhr
beritschneidereit.de
gefördert durch die kunststiftungnrw.de
Einzelne Fragmente, aus ihrem ursprünglichen Kontext losgelöst und in neue Beziehungen gesetzt. Schichten und Flächen, die sich übereinander schieben und überlagern. In der Ausstellung SHIFTING STAGES treffen Arbeiten von Aaron Scheer und Berit Schneidereit aufeinander, die aus unterschiedlichen Werkkomplexen beider Künstler:innen stammen. Sie verbindet in erster Linie eine analytische Herangehensweise und das prozesshafte Erforschen medienreflexiver Fragestellungen, denen sich die Künstler:innen aus verschiedenen Perspektiven annähern. Vor unseren Augen bauen sich vielschichtige Bildwelten auf, die fotografische und malerische Spuren sichtbar machen. Gleichzeitig entziehen sie sich jedoch einer eindeutigen Lesbarkeit und werfen Fragen nach der Konstruktion von Bildern auf.
In den Ausstellungsräumen des KOP.12 entfaltet sich so ein visuelles Nachdenken über das, was wir sehen oder meinen zu sehen. Der shift als Moment des Verschiebens, Verrückens und Umstellens zeigt sich hier auf der einen Seite als künstlerische Strategie, im Wechsel von einem Medium zum anderen oder in der Verschränkung vielfältiger Methoden. Auf der anderen Seite lässt er sich auch als Aufforderung an die Betrachter:innen verstehen den Blick zu bewegen, zu verändern, (neu-)auszurichten und scharfzustellen.
Berit Schneidereits Arbeiten setzen sich mit dem Fotografischen und seinen Wahrnehmungsmechanismen auseinander. Dabei spielen sie mit medialen Verschiebungen und gegensätzlichen Verhältnissen der Fotografie und nehmen deren Zwischenräume in den Fokus: zwischen Distanz und Nähe, Gegenständlichkeit und Abstraktion, Realität und Vorstellung. Die Künstlerin bedient sich eines vielseitigen technischen wie materiellen Pools. In der Kombination früher fotografischer Verfahren und zeitgenössischer digitaler Techniken fällt die Frage, wie das Bild letztendlich zu Stande kam jedoch in den Hintergrund. Wichtiger scheint vielmehr, in welcher Form es uns nun begegnet und sich auf unsere Rezeption auswirkt.
Durch das Aufschichten und Transformieren verschiedener Komponenten erschafft Schneidereit Bildräume, in denen sich natürliche Elemente und menschgemachte Strukturen verbinden. In fantasy V blicken wir in einen Park oder Garten. Je näher wir an ihn herantreten, umso deutlicher zeichnet sich vor der wild wuchernden Vegetation ein feines Raster ab. Wie durch einen Zaun, der sich zwischen Bild- und Ausstellungsraum schiebt, schauen wir auf die Szenerie, die in kleine Quadrate zerspringt. Die Gitterstruktur entsteht dabei in der Dunkelkammer. Die Künstlerin belichtet die fotografischen Ansichten mit einem darüber gelegten Gewebe, welches sich in diesem Prozess in das lichtempfindliche Fotopapier mit einschreibt und ein Fotogramm erzeugt. Unweigerlich gibt es dem Bildraum Ordnung, unterteilt und vermisst ihn, und löst ihn wiederum auf. Eine Gegenbewegung, in der sich das Bild als konstruierte „Fantasie“ entpuppt und auf idealisierte, romantisierte Vorstellungen von Natur verweist, die im Kontrast zu ihrer urbanen und künstlichen Realität stehen.
Die Arbeiten der Serie retouch knüpfen an diese Beschäftigung an. Hier greift Schneidereit auf ihr eigenes fotografisches Archiv zurück und erweitert den Modus des Überlagerns. Innerhalb der Werkreihe werden einzelne Versatzstücke herausgeschnitten und tauchen an anderer Stelle wieder auf. Das titelgebende Verb „Retouch" nimmt dabei zum einen auf die Strategie des Wiederaufgreifens der eigenen Bildwelt Bezug. Zum anderen lässt es sich auch in seiner Bedeutung des Retuschierens verstehe: Als (nachträgliche) Bildbearbeitung, die Fehler in der fotografischen Oberfläche wie von unsichtbarer Hand verschwinden lässt, um das Foto zu verschönern oder zu korrigieren. Hier ist es jedoch andersherum: Gerade die vermeintlich fehlerhaften Eigenarten der Fotografie treten besonders hervor. In der Übertragung des Bildes in ein anderes Medium, vom Analogen zum Digitalen, vom Positiv zum Negativ und zurück, findet während der Bearbeitung eine Verschiebung statt, in deren Zuge Informationen verloren gehen. Die Fehlstellen dieses shifts sind jedoch nicht Störung, sondern Stilmittel, durch das sich die fragmentierten Bildräume zusammensetzen.
Auch die beiden Cyanotypien thoughts VII und turns (subjective) III befragen den Konstruktionscharakter fotografischer Bilder. Vor dem intensiven Blau des belichteten Hintergrunds setzen sich die hellen, fragilen Silhouetten textiler Gewebe ab. Diese begegnen uns hier nicht als starre, ordnende Rasterungen, sondern als leichte, lebendige Formen. Im Versuch etwas zu fixieren, das beinahe zu ephemer und durchlässig erscheint, um es überhaupt greifen zu können, wird hier das fotografische Paradigma das Flüchtige „festzuhalten“ unmittelbar im Bild verhandelt. Die Netzstücke platzierte die Künstlerin dazu in diversen Faltungen direkt auf dem lichtempfindlichen Papier und belichtete dieses anschließend. Mithilfe von Bleiche übermalte sie zudem stellenweise den Bildraum, macht den papiernen Bildträger sichtbar, und bringt so nicht nur ein weiteres Element des Zufalls, sondern auch eine weitere Bildebene mit ins Spiel.
Auch die beiden Cyanotypien thoughts VII und turns (subjective) III befragen den Konstruktionscharakter fotografischer Bilder. Vor dem intensiven Blau des belichteten Hintergrunds setzen sich die hellen, fragilen Silhouetten textiler Gewebe ab. Diese begegnen uns hier nicht als starre, ordnende Rasterungen, sondern als leichte, lebendige Formen. Im Versuch etwas zu fixieren, das beinahe zu ephemer und durchlässig erscheint, um es überhaupt greifen zu können, wird hier das fotografische Paradigma das Flüchtige „festzuhalten“ unmittelbar im Bild verhandelt. Die Netzstücke platzierte die Künstlerin dazu in diversen Faltungen direkt auf dem lichtempfindlichen Papier und belichtete dieses anschließend. Mithilfe von Bleiche übermalte sie zudem stellenweise den Bildraum, macht den papiernen Bildträger sichtbar, und bringt so nicht nur ein weiteres Element des Zufalls, sondern auch eine weitere Bildebene mit ins Spiel.
Das Erproben unterschiedlich analoger und digitaler Materialitäten und Arbeitsweisen, zwischen Analyse, kontrollierter Lenkung und Zufall, spielt auch in der künstlerischen Praxis Aaron Scheers eine maßgebliche Rolle. Im Zentrum seiner Auseinandersetzungen steht das Verhältnis und die Beziehung von Mensch und Maschine. Das Arbeiten mit und Aufzeigen von (Material-) Fehlern wird in seinen Werken dabei ebenfalls zum Prinzip. Im Austesten und Ausspielen technischer Programme und Funktionen deckt der Künstler die unvollkommenen, fehlerbehafteten Eigenschaften von Maschinen auf, die für ihren „menschlichen“ Charakter sprechen. So hinterfragt er die zunehmende Automatisierung von Produktionsprozessen, den allgegenwärtigen Fortschrittsgedanken und nicht zuletzt auch unsere zeitgenössischen Arbeitskulturen.
In seinen Printer Paintings begegnen wir monochromen Farbflächen, die sich vor unseren Augen aufzulösen scheinen. Diese scannte der Künstler in einen Drucker ein, druckte sie aus, scannte das Papier erneut ein und wiederholte diesen Vorgang, bis sich die Farbe Schicht um Schicht immer weiter aufbaute und den Drucker letztendlich regelrecht zur Aufgabe zwang. Sein Versagen wird zum Bildinhalt: Papierstau und auslaufende Tinte erzeugen stellenweise Verzerrungen, die Farbe schlägt wellenartige Muster. In den Arbeiten der Serie Analog vs. Digital sind die Rollen umverteilt: Die Maschine wird vermenschlicht, der Mensch zum Automaten. Scheer erstellte hierfür mehrere Ausdrucke einer Bilddatei mithilfe unterschiedlicher Drucker, die in ihrer jeweiligen Eigenart verschieden Farbtönungen und -abstufungen ausgaben. Diese übermalte er anschließend händisch mit Ölkreide in immergleichen fließbandartigen Bewegungen. Die repetitiven, maschinellen Strukturen überlagern so die individuellen Züge und Zeichnungen der Maschine.
Ähnlich wie Schneidereit das Wesen der Fotografie erforscht, nähert sich auch Scheer in seinen Werken medienreflexiven Fragen. Dabei geht es ihm weniger um die fotografischen Qualitäten der digitalen Dateien, die er verarbeitet, als um eine Erweiterung des Verständnisses von Malerei. Malerei, die auch datenbasierte Techniken miteinbezieht. Deutlich ablesbar wird dies in der Arbeit DaNA XXIII, deren Betitelung, ein Akronym für „Defining a New Aesthetic”, ganz konkret auf die persönliche Auseinandersetzung und Selbstverortung des Künstlers im Spannungsfeld analoger und digitaler Medien verweist. Gleich einer weißen Leinwand steht hier zu Beginn das weiße jpeg, auf welchem der Künstler mit unterschiedlichen digitalen Werkzeugen Linien erschafft und überarbeitet, in gewisser Weise malt und zeichnet. (Stör-) Formen wie Pixel, Glitches und Blurs werden isoliert und in ihren neuen Zusammensetzungen und Wiederholungen zu malerischen Elementen, die der Künstler zu post-digitalen Landschaften verwebt. Diese finden schließlich als Pigmentdrucke ihre physische Präsenz im Ausstellungsraum.
Bedient sich Scheer hier zwar des maschinellen Vokabulars lässt den Computer selbst jedoch nicht zu Wort kommen, geht er in der Arbeit _Scyscrapers Of The Future noch einen Schritt weiter. Hier wird die Künstliche Intelligenz als Ko-Autorin in einem performativen Akt miteingebunden. Als Teil der Reverse Image Serie zog der Künstler nach Fertigstellung seines Werks das Reverse Image Tool von Google (heute Google Lens) hinzu, um einen Titel zu generieren. Dazu speiste er dieses dort ein und ließ es vom Algorithmus interpretieren, der es mit unzähligen Bildern aus dem tagtäglich wachsenden und sich ändernden Kosmos des Internets abglich und optisch verwandte Vorschläge berechnete. Aus diesen wählte Scheer schließlich den besagten Titel aus. Damit zeigt er nicht nur Dynamiken vernetzter Bilder sowie Problematiken von Big Data auf, sondern fragt auch nach rezeptionsästhetischen Mechanismen: Wie wirkt sich die Dualität von Bezeichnung und Abbild auf dessen Wahrnehmung aus?
Mit den Werken Aaron Scheers und Berit Schneidereits treten in der Ausstellung Arbeiten in einen Dialog, die Sichtweisen und Medienverständnisse der Betrachter:innen auf die Probe stellen. In ihnen visualisieren sich verschiedene Gangarten und Modi der Fotografie und der Malerei, die sich miteinander verschränken und stellenweise auch mediale Evolutionsstufen nachvollziehbar machen. In gewisser Hinsicht sind es widerständige Bilder, undurchsichtige Hybride, die sich nicht sofort offenbaren, sondern unsere Wahrnehmung umlenken und befragen. Obwohl sich die Bilder auf den ersten Blick der einfachen Entschlüsselung verweigern, schaffen sie in ihrer Gegenüberstellung und ihrer Interaktion einen Raum der Interpretation und Reflexion, in dem sich einzelne Fragen beantworten und neue Fragen eröffnen. Ein shifting durch Bildräume und -ebenen, ein Spiel mit und gegen die Regeln. Andauernde Wechselverhältnisse, die unsere Vorstellungskraft herausfordern.
Daria Bona