Alex Grein, Fragments NEW WORLDS, 21. Jun 2019 - 30. Dec 2022, Museum Folkwang, Essen
TALK

mit der Künstlerin Alex Grein und Thomas Seelig,
dem Leiter der Fotografischen Sammlung 
des Museum Folkwang

So., 29. Mai um 17:00 Uhr 

eine Veranstaltung innerhalb von 
FOLKWANG UND DIE STADT



Innerhalb der Ausstellung THE CITY IS CLEARLY VISIBLE FROM HERE, mit der der Kunstraum KOP.12 als Partnerin innerhalb von FOLKWANG UND DIE STADT vertreten ist, lehnen in der fotografischen Installation von Alex Grein mehrere große Platten an den Wänden des Ausstellungsraums. Die Verarbeitung der großformatigen Tafeln und Materialien erinnern an Herstellungsprozesse im Trockenbau. Eine Konstruktion, die auch im Kulissen- oder Messebau verwendet wird, um Wände provisorisch zu errichten. 
Auf der Vorderseite der Platten sind im Maßstab 1:1 Reproduktionsansichten der aktuellen Sammlungspräsentation NEUE WELTEN des Museum Folkwang angebracht. Die Installation von Alex Grein macht so, einem Archiv vergleichbar, ausgewählte Arbeiten der Sammlung des Museums wie z.B. von Viktoria Binschtok und Gerhard Richter, in der Essener Innenstadt in physischer Form sichtbar.

Im Gespräch zwischen der Künstlerin Alex Grein und Thomas Seelig, dem Leiter der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang, werden das Konzept der für den Kunstraum KOP.12 entstandenen Arbeit sowie die Werkserie der 1:1 Reproduktion der Künstlerin näher betrachtet:
TS:  Ich hatte gerade richtig Ehrfurcht mich hier in diesen Raum hineinzusetzen, weil wir uns jetzt eigentlich mitten in deiner Arbeit befinden, Alex. Ich wusste ja, dass unsere schönen weißen Wände aus dem Museum Folkwang die Reise gemacht haben, hier in diesen Raum. Wenn du diese Wände hier beschreiben würdest, wie atmen die?
AG: Aktiv.
TS: Kannst du das weiter beschreiben?
AG: In Bezug auf die Wände vom KOP.12?
TS: Ja, Wände scheinen dich ja in irgendeiner Weise zu interessieren, die du bei deiner Exkursion zum Museum Folkwang erobert hast und es sind jetzt zwei verschiedene Wände, einmal der museale Raum, einmal der Off-Space. Wie würdest du den Unterschied beschreiben?
AG: Ich würde den Unterschied erst einmal auf der visuellen Ebene beschreiben. Die Räume im KOP.12 wurden nach der Renovierung oder nach der Instandhaltung sehr rough belassen und da entsteht visuell ein ganz extremer Gegensatz zu den Wänden, die ich aus dem Museum hier hingebracht habe.
TS: Ich habe ja den Eindruck, dass die Wände hier auch schon Geschichte atmen und gleichzeitig habe ich im Museum ständig mit Neuinszenierungen zu tun. Sprich, es werden Wände übergestrichen, neu gestrichen, umgehängt und so weiter. Wir haben irgendwann mal aus einer Wand ein Loch herausgeschnitten und dann hat man die ganzen Schichtungen gesehen die seit dem Neubau - das sind ja hauptsächlich Bilder die Du im Neubau fotografiert hast, einige aber auch im Altbau -  interessant finde ich eigentlich, dass selbst der Neubau mit elf Jahren schon eine gewisse Geschichte hat. Aber nun zur Frage: 
Sechs Wochen vor dieser Ausstellung kam dein erster Anruf, was natürlich Off-Space-Zeit ist und dann dachte ich, hoffentlich können wir als Museum so schnell darauf reagieren.  Wie war die Situation für dich eingeladen zu werden? Hatte Daniela klar im Blick, dass es um die Erweiterung deiner Serie ging? 
AG: Daniela hat mich eigentlich mit einer anderen Arbeit angefragt, die sich aber schwer in der Form realisieren ließ.  Ich habe dann explizit für die Ausstellung eine Arbeit konzipiert. Ich glaube, das ist gar nicht so üblich?
DR: Tatsächlich lade ich ins KOP.12 Arbeiten ein, die ich schon in anderen Zusammenhängen sehen konnte, weil ich mir vorab dazu Gedanken mache, wie sie hier im Raum wirken und funktionieren können. Aber dann hast du mir von deiner Arbeitsweise mit den 1:1 Reproduktionen erzählt und mich hat die Materialität interessiert, die Trockenbauplatten mit diesem Metall-System. Und die Idee im Museum zu fotografieren und das Museum hier in die Innenstadt zu bringen fand ich super. 
AG: Diese Arbeitsweise hängt, wie schon in vorherigen Werkgruppen, stark von den Räumlichkeiten ab, beziehungsweise entstehen die Konzepte erst durch die eigene Begehung des Ausstellungsraumes. Für die Ausstellung im KOP.12 habe ich mich langsam herangetastet: Was bedeutet FOLKWANG UND DIE STADT? Was bedeutet es, wenn das Museum rausgeht und in der Stadt sichtbar gemacht werden soll. So entstand Schritt für Schritt das Konzept für den Ausstellungsraum.
TS: Und seit dieser Anfrage, warst du bei uns, hast fotografiert und produziert. Du hast, wenn ich das richtig verstehe, auch Bildrechte eingeholt? Weil es natürlich reproduzierte Arbeiten sind, die unter Urheberschutz stehen. Wo hattest du in diesem Prozess die größten Widerstände? 
AG: Beim Urheberrecht. Bisher waren alle Künstler und Künstlerinnen, die ich erreichen konnte dem Projekt gegenüber aufgeschlossen. Aber es gibt viele Urheberrechte die dann gar nicht bei den Künstlern und Künstlerinnen liegen, sondern es gibt Zwischeninstanzen, z.B. die VG Bild-Kunst oder auch die Galerien. Also auch die Frage, wo liegt das Urheberrecht überhaupt.
TS: Was heißt das? Mit welcher Konsequenz?
AG: Ich hoffe keiner!
TS: Du spielst wahrscheinlich auf die Verwertungsgesellschaft VG Bild-Kunst an?
AG: Ja, ich muss sagen, dass die bisher sehr offen waren.
TS: Ich fand interessant, dass du eines der Bilder, also von Viktoria Binschtok, im Originalzustand belassen hast, also nicht angeschnitten. Das ist ja sozusagen die Ursünde, die man bei Reproduktionen machen kann, im Anschnitt, Text drüber, nicht ganz abgebildet … Also eigentlich hintergehst du alle Richtlinien die gerade von diesen Verwertungsgesellschaften kommen. Und trotzdem fand ich es interessant, dass es im 1:1 belassen ist. Auch bei Roni Horn übrigens. Zwei Strategien oder geht das zusammen?
AG: Es ist die Entscheidung bei manchen Arbeiten, die aus einer Serie entstehen, dann doch Teile zu zeigen. Die Arbeit von Roni Horn ist eigentlich eine mehrteilige Anordnung an der Wand. Dazu gehören noch andere fotografische Bilder. Bei Viktoria Binschtok ist es ähnlich, der ganze Raum, der Teil der Arbeit ist und auch die Boxen in denen die Globen verschickt wurden, sind nicht mit abgebildet. So dass da gewisse Paritäten noch einmal geltend gemacht werden.

TS: Wenn du schneidest, worauf achtest du da? Also z.B. bei Gerhard Richter, den wir hier sehen, ich weiß irgendwo dahinter ist auch Sven Johne zu sehen - wie gehst du da vor?
AG: Die Maße entstehen aus dem Konzept heraus. Beim Fotografieren im Museum Folkwang war ich mit Zollstock, Maßband und einer Farbkarte ausgestattet. Dinge, die eine Person braucht um eine Reproduktion anzufertigen. Ich habe vor Ort stets die gleichen Abstände gemessen, zum Beispiel die Entfernung von der Kamera zu den Ausstellungswänden. Ich habe ebenfalls die Maße der einzelnen Arbeiten abgenommen. Die Abbildungen auf den Wänden hier in der Installation zeigen die Wände des Museums stets vom Boden beginnend, so sind auf allen Fotografien die Fußleisten zu sehen. Der Ausschnitt ergibt sich aus der Berechnung wie groß die einzelnen industriell hergestellten Trockenbauplatten sind. Die Platten haben alle vorgefertigte Maße, 60, 90 oder 125 Zentimeter breit und 150, 200 oder 260 Zentimeter hoch. Aus diesen Maßen heraus entstehen dann die fotografischen Ausschnitte. Die Elemente sind als Fragmente aus dem Museum gedacht, die in der Form auch wieder zurück ins Museum gebaut werden könnten, theoretisch. Neue Wandkonstellationen könnten daraus zusammengesetzt werden. Es gibt auch andere Ausschnitte, wie zum Beispiel die erste Platte in der Installation rechts im Raum, die in einer Drehung von 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn gezeigt wird.
TS: Ist das eine Arbeit am Computer? Oder ist das ein sich im Raum Herantasten an dieses Volumen? Diese Overlays sind ja eigentlich Photoshop ähnlich, wo man mit verschiedenen Ebenen arbeitet. Man kann das natürlich sehr stark vorplanen oder der Lastwagen kommt hin und dann fängst du an im Raum zu arbeiten. Wie gehst du vor? 
AG: Es ist beides. Ich habe vorher am Rechner schon relativ weit festgelegt, wie die Platten voreinander stehen sollen. Aber es gab dann auch noch eine Anordnung im Raum beim Stellen, auch im Zusammenspiel mit Daniela. Dabei spielte die Überlegung eine Rolle, inwieweit dieses Archiv eigentlich stets neu archiviert werden kann. Ich würde das auch nicht als feste Anordnung sehen. Wenn die Arbeit jetzt weiter wandert, dann könnte die Anordnung variieren. Ich denke, es hängt stark von den Räumlichkeiten ab.
TS: Dein Werk ist im Rahmen von FOLKWANG UND DIE STADT entstanden. Es gibt also diesen ganz klaren Bezug Bismarckstraße und Kopstadtplatz. Kann diese Arbeit ohne weiteres wandern?
AG: Das ist eine gute Frage, haben wir ja schon im Vorgespräch versucht herauszufinden, ob das möglich ist. Ich habe mehrere Szenarien bisher durchgespielt. Die Arbeit könnte durchaus weiter in andere Institutionen wandern. Auch in eine Institution die gar nicht in Essen verortet ist und dadurch einen anderen Raum oder eine Erweiterung der Sammlung hinzubekommt. Sie könnte aber auch in die eigentlichen Institutionen zurückgehen, quasi als Archiv. Weil die Arbeit auch als Archiv in physischer Form gedacht ist. Ähnlich wie auch die Sammlung ein Archiv ist. Eine dritte Variante wäre, nur die Drucke zu behalten, da das Material es hergibt, diese wiederzuverwenden. Und die Trockenbauplatten kann man einfach jemandem geben der vielleicht ein Haus bauen will. Um das Material nochmal für Wandkonstruktionen weiter zu verwerten. Aber das sind momentan Gedankenspiele die noch nicht abgeschlossen sind.
TS: Die vierte Option wäre die komplette Zerstörung.
AG: Nein, eigentlich ist das keine Option. Es ist gutes Material und es wäre nicht nachhaltig gedacht. Die Drucke könnte man eventuell zerstören.
TS: Ich finde interessant, dass du an das Material denkst, was zu retten wäre. Ich würde eher die Arbeit retten. 
Wo du gerade vom Archiv gesprochen hast, ist mir aufgefallen, dass diese Konstellation gar nicht mehr möglich ist. Wir haben vor drei  Wochen umgehängt.
AG: Sind das Arbeiten die dann woanders hängen? Oder werden die tatsächlich wieder ins Archiv gebracht und neue Arbeiten werden gehangen?
TS: Also bei Malerei und Skulptur ist das nicht so ein Problem. Aber zum Beispiel Viktoria Binschtoks Arbeit hing fünf oder sechs Monate. Und dann gibt es den Hinweis von unseren Restaurator:innen die sagen: wir müssen umhängen. Das ist dann natürlich schon längere Zeit geplant. Du bist gerade in der Phase gekommen, ich glaube eine Woche bevor das abgehängt wurde. Daher ist es eigentlich schon Geschichte, was wir jetzt sehen. 
AG: Ihr könnt die Platten ja mitnehmen ..
TS:  .. und wieder hineinstellen, ja! Kannst du etwas zu deinem Vorgehen sagen, dass du dir Kunst von anderen Menschen aneignest. Ich glaube in den 80er Jahren war das eine richtig explosive Haltung. Peter Piller hier im Raum hat ja wahrscheinlich ähnliche Gedanken. Ich frage mich, gibt es diese starke Kraft noch, so eine Art DAS GEHT NICHT oder DAS DARF MAN NICHT? Weil du machst es ja. 
AG: Ich hatte den Gedanken jetzt nicht DAS GEHT NICHT oder DAS DARF NICHT. Ich hatte aber schon das Bedürfnis zu fragen. Aber für mich ist es eigentlich kein Aneignen, da die Arbeiten der Künstler und Künstlerinnen schon sehr stark im Vordergrund stehen. Der Gedanke ist, dass ich mich als Position zurücknehme und die Arbeiten anderer Künstler:innen hier gezeigt werden. Alle Künstler:innen sind entschlüsselt. In der Liste die vorn liegt sind alle künstlerischen Positionen benannt, alle Werkangaben, alle Maße, Entstehungsdaten und auch die Inventarnummern die ihr verwendet. Das Museum hat einen öffentlichen Online-Katalog, den du mir netterweise genannt hast. Da können die Verfügbarkeiten eingesehen werden, auch wer welche Arbeit gestiftet hat. Alles Informationen, die für mich auch ein wichtiger Teil der Arbeit sind.
TS: Das ist sozusagen die institutionelle Seite die du abbildest. Wenn ich jetzt - gerade Viktoria Binschtok oder Roni Horn, beides lebende Künstlerinnen - welche Reaktionen hattest du oder erwartest du wenn du sagst: ich würde das gerne produzieren. Teilen sie das mit dir oder ist das eine Freiheit die sie dir gewähren? Oder welche Reaktionen hast du erfahren? Ich glaube, das ist die erste Arbeit, bei der du mit zeitgenössischen Teilnehmer:innen arbeitest?
AG: Es gibt auch Positionen die gar keine Urheberrechte mehr beanspruchen können, weil die Autoren schon über 70 Jahre verstorben sind. Das ist Teil des Urheberrechts. Bei Carl Gustav Carus ist es zum Beispiel so. Aber bei Viktoria Binschtok, das war die erste Position die ich angefragt habe, die war eigentlich sehr erfreut, dass ich ihre Arbeit verwende. Viktoria Binschtok arbeitet auch selbst mit gefundenem Material und dann ist da vielleicht auch schon das Verständnis für das Nutzen anderer Bildmaterialien ein anderes. 

TS: Vielleicht noch ein Wort zum Einsatz von Text. Als du uns angefragt hast, dachte ich, das sind alles Werke und war dann ganz freudig überrascht, dass mit den Texten auch unsere kuratorische Spur zu sehen ist. Gleichzeitig hat es mich ein bisschen verstört, weil das ja unsere Interpretation ist und nicht ein Werk. Gleichzeitig manifestiert sich das hier auf besondere Weise. 
AG: Die Entscheidung dazu kam in der konzeptionellen Herangehensweise, die Wände des Museums hierher zu transferieren und auch in der Überlegung, dass eine Wand im Museum nicht nur dazu da ist ein Bildmotiv zu zeigen, sondern auch dazu den Verweis zu den einzelnen Arbeiten in Textform darzubieten. Es war für mich eine logische Konsequenz. Die ganze Auswahl der Abbildungen, ist zum Teil einem eigenen Rundgang zugrunde gelegt, wie ich mich selbst im Museum bewegt habe. Dann aber auch die Beobachtungen an den Tagen darauf: wie schauen andere Menschen im Museum auf Bilder oder auf Texte. Wo bleiben sie stehen, wo verweilen sie auch im Beobachten, was fotografieren sie? Das ist natürlich auch nur ein Ausschnitt und keine realistische Statistik worauf man ablesen könnte: dass sind die Werke die viel fotografiert werden. Aber es ist eine eigene Beobachtung in dieser Zeitspanne: welche Bilder gehen in Umlauf. Das ist etwas was mich generell persönlich interessiert: wo landen Bilder und wie und wo werden sie gemacht. 
TS: Wo gehen die Bilder hin, wenn sie privat fotografiert werden? Auf Instagram?
AG: Das kann ich natürlich nicht mehr nachvollziehen. Ich habe bei Instagram versucht einzelne Hashtags auszuwerten von den Positionen die ihr zeigt, um so vielleicht auch eine Art Statistik auswerten zu können. 
TS: Ich will noch mal weit zurückgehen zu deiner ersten Arbeit, die in dieser Reihe entstanden ist. Was war damals der Ausgangspunkt? Dass man das weiterführen kann? Wie entsteht so der Grundgedanke zu so einer Intervention? Es ist ja immer eine Reaktion auf bestimmte Gegebenheiten.
AG: Die allererste Ausstellung die ich in der Form realisiert habe, war im Zuge einer Ausstellung in Iserlohn, zu der Abschlussausstellung von einem Stipendium. Der Ausstellungsraum der städtischen Galerie Iserlohn besteht zum größten Teil aus Fenstern und das ist für eine fotografische Positionen ziemlich schwierig, da man Wände braucht. Ich habe dann die Fenster fotografisch dokumentiert, im Anschluss in 1:1 reproduziert und die Drucke auf die restlichen Wände verteilt. Das heißt, die ganze Ausstellung bestand dann eigentlich nur noch aus Fenstern. Das war die erste Auseinandersetzung dieser Art in den Raum einzugreifen. Die zweite war in der ersten Einzelausstellung in der Galerie Gisela Clement in Bonn. Ich fühlte mich in dieser Architektur als Mensch sehr diminuiert, fast geschrumpft. Ich empfand so in einem allerersten Moment, weil die Türen 4 Meter hoch sind. Ich habe dann alle Wände fotografisch dokumentiert, um diese Fotos als Ausschnitt dann auf neue Wände zu tapezieren, in einem Maßstab, der die Tür, die real vier Meter hoch ist, auf einen Standard von zwei Meter zurückzubringen. Das war die Ausgangsform. Diese neuen fotografischen Wände waren dann meine neuen Ausstellungswände, auf denen ich andere gerahmte fotografische Arbeiten präsentiert habe. Der architektonische Eingriff war für mich notwendig um mich in diesem Raum positionieren zu können. 
TS: Das klingt technisch ziemlich anspruchsvoll. Das Vermessen und Skalieren. 1:1 ist ja glaube ich auch nicht so einfach hinzukriegen. Ist es eine große Herausforderung?
AG: In Bonn war es kompliziert, weil ich auf eine Höhe kommen musste, so dass ich auf Augenhöhe fotografieren kann. Dafür musste ich ein Gerüst einbauen. Das sind dann so Hürden, die einem über den Weg laufen. 
TS: Ich war überrascht, die Einladungskarte zeigte einen Zollstock und eine Farbkarte. Im Vorfeld stand die Frage im Raum: Kunstlicht oder Tageslicht. Das Ergebnis sieht ja wahnsinnig neutral aus. War das so gedacht oder atmet das Museum doch verschiedene Temperaturen?
AG: Das fotografische Ergebnis ist relativ neutral. Man sieht das jetzt vielleicht nicht so, weil ich durch die Farbkarte einen ganz guten Weißabgleichs hingekriegt habe. Carl Gustav Carus aber beispielsweise hängt vor einem Fenster mit einzelnen Lamellen. Die waren einmal geöffnet, einmal geschlossen. Ich war ziemlich froh, als ich nochmal die geschlossene Version fotografieren konnte. Das waren vielleicht eher so Probleme, vor Ort. Die Spiegelungen auszugleichen. 
TS: Wir haben im letzten Jahr in der Fotografischen Sammlung zwei Collagen von Justine Kurland aus der Serie SCUMB MANIFESTOS angekauft. Sie bezieht sich explizit darauf, dass Andy Warhol vor langer Zeit von Valerie Solanas angegriffen und mit drei Schusswunden verletzt wurde. Solanas hatte in den frühen 1980er Jahren das feministische SCUM MANIFESTO verfasst. Kurlands Vorgehen war nun Bücher aufzuschneiden und zu zerstören. Sie hatte festgestellt, dass ihr Buchregal zu 95% aus Fotoliteratur aus männlicher Hand bestand. Dann hat sie den Buchblock aufgeschnitten, die Bilder in Einzelteile zerlegt und daraus Collagen gemacht. Als feministischer Akt wurde etwas zerstört und etwas Neues kreiert. Siehst du dein Wirken auch als einen politischen Akt?
AG:. Ja schon, aber das muss nicht Teil der Arbeit sein. Man kann sich das erschließen, muss man aber nicht. Das ist dann eher eine eigene Haltung.  
TS: Es gefällt mir gerade, weil es letztendlich auch ein Angriff auf die Institution ist, zumindest eine Verschiebung. Es lässt die Spuren offen. Das ist ja nicht nur alles hermetisch und aggressiv, sondern eine sehr schöne Balance, die das Werk oder diese Rauminstallation hat. Vielleicht noch etwas zum Räumlichen zum Abschluss des Gesprächs: Wie arbeitest du im Raum? War es immer so gedacht, dass es zwei Teile werden? 
AG: Es war tatsächlich in mehreren installativen Kombinationen konzipiert, auch verteilter im Raum. Aber wir haben dann gemeinsam im Raum überlegt und es zusammen erarbeitet. Im Endeffekt war das dann auch eine gemeinsame Entscheidung wie die Wände angeordnet sind.
TS: Dann öffne ich doch mal das Gespräch in den Raum. Gibt es Stimmen, Fragen? 

Besucher 01: Ich finde dieses 1:1 ziemlich interessant. Es gibt diese leider ziemlich langweilige technische Frage, wie 1:1 sind die Paneele? Oder auch die Frage, wie einfach ist das? Aber ich frage mich, ob du die Arbeit dokumentarisch siehst? Wir sehen selten 1:1 Fotografien in der Welt. Wie wichtig ist es dir? Gibt es eine Toleranz? Oder welche Probleme hast du gehabt? Ich glaube, selbst im Digitalbereich ist sogar dieses 1:1 ist nicht so einfach wie wir denken. Wenn es dir wichtig ist, dann kann es auch nicht einfach gewesen sein.
AG: Also es gibt mit Sicherheit eine Toleranz, das muss ich ganz ehrlich zugeben. Es gibt ja immer minimale Perspektivverschiebungen, die man nicht beeinflussen kann. Aber es gibt die Größenangaben der einzelnen Arbeiten und meine eigenen Vermessungen vor Ort. Das kann ich im digitalen Raum ebenfalls noch mal abgleichen. 
Jan Höft: Ich habe einen Gedanken, der vielleicht weniger eine Frage ist. Ihr habt sehr stark darüber geredet, welche einzelne Arbeit und Künstler:innen angefragt wurden. Was das bedeutet. Und irgendwie frag ich mich, geht‘s hier eigentlich um die Arbeit? Und eigentlich sehe ich ganz stark die Schatten. Ich sehe die Schatten unter den Rahmen, neben der Leinwand, da von der Unterkante Leinwand, die Schatten an der Kanten knapp über dem Fußboden. Und ich sehe die Schatten, die die einzelnen Wandelemente aufeinander werfen. Hier unten überlagern sich zwei Schatten. Wie wichtig war dir dieser Teil eigentlich? Für mich ist der irgendwie viel stärker. Ich denke da gar nicht mehr an die Arbeiten. Wie ist das bei dir? Wie sehr denkst du darüber nach, dass das hier ein Gerhard Richter ist? Oder wo guckst du gern eigentlich hin?
AG: Ich denke, dass es ein bisschen Zusammenspiel aus diesen beiden Dingen ist, die du ansprichst. Ich glaub die Schatten, die machen viel aus, weil es ja dann auch ein fotografisches Festhalten ist, von dem zeitlichen Moment. Wenn ich eine Stunde später hingegangen wäre, dann wäre der Schatten natürlich ein anderer. Also das spielt dann schon eine Rolle. Es gibt mehrere Aufnahmen von Arbeiten, die zu anderen Zeitpunkten entstanden sind, die ich wieder verworfen habe. Da gab es nicht nur die eine Aufnahme von dem einen Ausschnitt, sondern auch nochmal eine Aufnahme am nächsten Tag. Und da gab es dann unterschiedliche Entscheidungen. Die Schatten, die jetzt hier geworfen werden, das ist Teil von der skulpturalen Auseinandersetzung im Raum der Arbeit. Das war dann ein interessanter Austausch mit Daniela, wie die Platten gestellt werden. Das ist natürlich auch noch einmal ein Teil der Arbeit. 

TS: Für mich ist es ganz stark eine digitale Arbeit, weil die Produktionsform der Paneele noch hinzukommen. Ich sehe Inkjet-Abzüge, die sozusagen auch digitale Produkte sind. Wir sprechen hier also nicht von einem rein fotografischen Werk, sondern einem digital fotografischen Werk. Ich finde spannend, dass du diese Sichtbarkeit nicht versiegelst, sondern dass es irgendwie zum Werk gehört, diese Spur offenzulegen oder zu belassen.
AG: Das war mir auch extrem wichtig. Es gibt teilweise Aluminiumprofile, die Daten der Produktion selbst aufweisen. Also das Datum und die Uhrzeit. Das war für mich auch wieder ein Verweis auf den Akt des Fotografierens. Es gibt auch Platten, die extra von mir ausgewählt wurden. Das ist natürlich ein sehr formaler Eingriff. Die Platten werden im Werk markiert, das sieht man hier zum Beispiel. Die werden immer mit einer Farbe besprüht. Das hat auch etwas mit der Zeitlichkeit, der Produktionscharge zu tun.

Besucherin 02: Was ist hier genau passiert? Da ist nicht nur die Fotografie, sondern auch noch Farbe dabei.
AG: Das ist die Farbe die ich vorab auf die Platten auftragen musste, weil dieses textile Papier ein ganz dünnes, leicht transluzentes  Material ist. Das heißt, alles was sich hinten dunkel abzeichnet, bildet sich auf der Vorderseite ab. Dadurch, dass die Wände außer bei Sven Johne ja fast alle weiß sind war dann die Entscheidung, dass die Paneele von mir vorab weiß gestrichen werden mussten, bevor dann der Druck aufgebracht wird.
DR: Ich fand es auch eine Entdeckung diese Unreinheiten zu sehen, rings um die Arbeit von Viktoria Binschtok. So wie es eben schon erwähnt wurde mit den Schatten, die wir jetzt in den Reproduktionen sicherlich ganz anders wahrnehmen als vor Ort im Raum, frage ich mich, wie viele Besucher:innen das in der Ausstellung überhaupt sehen. Wie stark wird das überhaupt bemerkt und welche Rolle bekommt das in den Reproduktionen? Hier, würde ich vermuten, wird es plötzlich bedeutend wichtiger. Du hast sie bestimmt bewusst ausgewählt, diese kleinen Tackerspuren an den Wänden?
AG: Ja, es gibt an manchen Wänden so Spuren. Ich weiß nicht, ob das Spuren sind von Arbeiten die dort vorher hingen. Ehrlich gesagt, muss ich gestehen, dass mir das beim Fotografieren nicht aufgefallen ist. Erst in meiner digitalen Weiterverarbeitung, weil ich ja sehr stark ran-zoomen muss, um die Bilddateien im Maßstab abzugleichen. Mir sind diese Dinge dann auch erst im Zoom aufgefallen. 
TS: Wenn ich jetzt gerade ans Umhängen der Viktoria Binschtok-Arbeit denke, ist es ja so, dass zwei Stunden später der Maler kommt und anfängt zu Spachteln. Anschließend wird geschliffen, dann kommt nochmal der Maler. Diese Routinen werden in Stunden getaktet, damit am nächsten Tag gehängt werden kann. Manchmal werden aber einfach Dinge vergessen, dann machen wir eine Markierung dran. Aber es ist sehr interessant, dass die Situation dann fünf Monate lang mit den Tackerlöchern funktioniert hat. 
Ich mag diese Wände hier im KOP.12 sehr, weil sie nicht diesen Anspruch des Glatten und Perfekten haben. Ich weiß aber auch, dass wir als Museum nie dorthin kommen. Mir fällt es beispielsweise sehr schwer, ein Bild krumm zu hängen im Museum. Das ist hundert Prozent gerade, weil sonst etwas nicht stimmt. Und hier gilt es genügend Flexibilität aufzubringen. Ob 10 Zentimeter weiter links oder rechts, das wäre dann eine künstlerische Entscheidung. 
AG: Bei diesen Spuren habe ich mich das auch gefragt, als ich die Bilder im Zoom vor mir hatte, wenn das jetzt meine eigene Ausstellungsansicht wäre, ob ich die vielleicht wegretuschiert hätte. Es ist ja hier aber schon die 1:1 Reproduktion. Also zurück zu der Frage, ob das Dokumentation ist oder nicht: ja, es ist eine Dokumentation, die unverfremdet etwas zeigt. 

Philipp Goldbach: Mich interessiert noch einmal die Frage nach der Zusammenstellung, der Auswahl der Kunstwerke. Du hast ja schon dazu gesagt, dass dein eigener Laufweg durch das Museum darin eingegangen ist. Aber auch die Beobachtung: wie bewegen sich andere. Es gibt aber auch den politischen Impuls der Aneignung. Weil deine Arbeit 1:1 ist, gibt es eine starke Fragmentierung, einen Ausschnitt der aktuellen Sammlungspräsentation, bei dem sie stark zusammenschrumpft. Da würde mich noch mal interessieren, wie kommt dann diese Auswahl genau zustande? Sind das dann auch formale Entscheidungen? Man kann natürlich überlegen, dass die älteren Positionen und die männlichen bei dir eher hinten stehen. Gibt es umgekehrt Werke, die eine gewisse Signature-Funktion haben, z.B. die Arbeit von Viktoria Binschtok, die jetzt ganz vorn steht? Ist das eine Position, in der du dein eigenes Vorgehen nochmal spiegelst? Ich frage mich, wie kommt das zusammen mit Blick auf die ausgewählten Werke? Es sind ja nicht viele. 
AG: Eigentlich hast du es schon ziemlich gut zusammengefasst. Ich hätte natürlich auch noch sehr gerne viel mehr Wände abgelichtet. Das ist aber auch eine Budget-Frage. Ich könnte mir noch viel mehr Wände vorstellen. Das Archiv könnte man sich natürlich schon auch noch in erweiternder Form vorstellen.

Besucher 01: Das Fragmentarische und Dokumentarische, weil sie nie ganz vollständig sein können, … vielleicht wie ein halbzerrissener Brief oder ein fehlendes Buch einer Enzyklopädie, geht es auch darum, dass immer etwas fehlt? Und dass es vielleicht immer wie eine Erinnerung wirkt, wie dein Tag im Museum, was bei dir geblieben ist und nicht ein ganzes Bild, sondern ein Teil davon. So ist es eigentlich auch ziemlich persönlich.
AG: Ja, auf eine Art ist es auch ziemlich persönlich. Aber es hätte bestimmt noch gut zehn Platten mehr aus der Auswahl geben können. Aber zu der Auswahl gehören natürlich auch diese Parameter. Es sind ja auch immer sehr viele äußere Parameter, die mit hineinspielen.
TS: Ein Parameter war sicherlich auch, an welchen zwei Tagen du bei uns im Haus fotografieren konntest. Auf dem Weg zu dieser Werkform hier gab es sicherlich viele verschiedene Umstände!
AG: Ja.
TS: Alex, vielen Dank für das Gespräch.
AG: Ja, Danke.
TS: Vielen Dank auch Ihnen fürs Kommen und Daniela für die Einladung.
DR: Vielen Dank an euch! 


Alex Grein, Fragments NEW WORLDS, 21. Jun 2019 - 30. Dec 2022, Museum Folkwang, Essen

.
.








Back to Top